29.06.2012, 08:52
Spiegel-online und andere berichteten bereits und weitere werden folgen: Eine kohlenhydratarme und eiweißreiche Ernährung könne das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall deutlich steigern. Als Beispiele ausdrücklich genannt: Atkins, LOGI-Methode, Steinzeitdiät und das South-Beach-Konzept.
Der erste Denkfehler der Berichterstatter: Sowohl Atkins als auch LOGI als auch Paleo sind nicht protein- sondern primär fettbetonte Diätformen! Das heißt 45, 50 oder mehr Prozent der Kalorien kommen aus Fett. Der absolute Proteinkonsum ist dabei meist nicht oder nur wenig erhöht, da diese typischerweise für Übergewichtige (mit Insulinresistenz, Metabolischem Syndrom, Typ-2-Diabetes etc.) vorgesehene Kost auch typischerweise spontan eine Minderung der Energieaufnahme bewirkt.
Was ist geschehen?
Die Meldung von Spiegel-online et al. bezieht sich auf eine Langzeit-Beobachtungsstudie an 43.396 schwedischen Frauen, die im British Medical Journal veröffentlicht wurde (Anhang). Für die Studie hatte man in den Jahren 1991/92 eine Ernährungserhebung (mit Food Frequency Questionnaire) durchgeführt. Sechzehn Jahre später, hatte man – ohne weitere Ernährungserhebung – die Herz-Kreislauferkrankungsrate mit der Kohlenhydrat- und Proteinzufuhr rechnerisch in Beziehung gesetzt. Es fand sich eine Korrelation: Ein schrittweise höherer Proteinkonsum ist mit einer jeweils um 4 % erhöhten Rate an Herz-Kreislaufkrankungen assoziiert. Und umgekehrt ein schrittweise geringerer Kohlenhydratkonsum ist ebenfalls mit einer jeweils um 4 % (nicht signifikant) erhöhten Rate an Herz-Kreislauferkrankungen assoziiert. Und schließlich ist das Verhältnis der beiden Nährstoffe, ausgedrückt als „Low-Carbohydrate High-Protein Score“, bei schrittweiser Erhöhung gleichfalls schrittweise mit einer um 5 Prozent erhöhten Rate an Herz-Kreislauferkrankungen assoziiert.
Die stärkste Beziehung liegt im „Score“. Doch dieser Score hat es in sich: Er ermöglicht insbesondere in den mittleren Bereichen keine Aussage zur tatsächlichen Ernährungsweise. So ergibt ein kohlenhydratarmes, protein-moderates, fettreiches Mahl wie ein Stück gebratener Lachs mit zerlassener Butter und Gemüse exakt den gleichen „Score“ wie ein fettarmes, proteinarmes, kohlenhydratbetontes Pasta-Gericht (siehe auch beigelegter Kommentar der Kollegin „Jacqueline“ zu dem Score aus einer früheren Arbeit der gleichen Autoren). Weiterhin gibt der „Score“ keinerlei Auskunft über die Herkunft und Qualität der kombinierten Kohlenhydrate (und der Fette).
Besonders bemerkenswert ist die Basis des ganzen: Die Ernährungserhebung. Man weiß, dass die Food-Frequency Methode chronisch unzuverlässig ist. Weiterhin wurde die Erhebung nur einmal in den Jahren 1991/92 durchgeführt. Dies würde bedeuten, dass damals, zum Höhepunkt der „Low-Fat Welle“, in Schweden eine erkleckliche Menge an Low-Carb Anhängerinnen lebte und dass diese Frauen diese Ernährungsweise über 16 Jahre aufrecht erhielten! Wer sich mit Diäten beschäftigt, weiß wie unwahrscheinlich das ist! Dies wäre aber die Grundvoraussetzung um die Ergebnisse der Studie ernst zu nehmen.
In der Studie erfährt man überdies nicht, was die Frauen sonst so gegessen hatten, etwa ob die Damen mit niedrigen Kohlenhydratanteilen auch weniger Gemüse, Salate, Früchte und Nüsse gegessen hatten oder ob sie Steak mit Fritten liebten. Man erfährt auch keinesfalls, ob die Frauen mit geringerem Kohlenhydratanteil in der Ernährung so gegessen hatten, weil sie eine „Diät“ machen wollten um abzunehmen oder weil sie von Kartoffeln, Reis und Brot nicht so angetan waren und sich für Ernährung gar nicht interessierten. Es gibt also auch keine Information darüber ob die Frauen tatsächlich nach „Atkins“ oder sonst einer Diätanweisung gelebt hatten.
Das Ergebnis der Studie wird von den Autoren zwar nicht direkt aber über ihre Argumentation doch indirekt kausal interpretiert. Das sieht man auch an der Auswahl der zitierten Studien in der Diskussion. Da wird doch stark die Meinung ausgedrückt, Low-Carb/High-Protein bzw. Atkins & Co hätten das Übel verschuldet! Dem schließen sich viele Berichterstatter in den Medien an. Zwar lernt man bereits in dem Grundkurs für Epidemiologie, dass Korrelation nicht gleich Kausalität ist! Aber Epidemiologen neigen immer wieder dazu, ihre Rechkünste als kausalen Beweis zu werten. Und bei den vielen Vorurteilen gegen Low-Carb sind viele schnell dabei...
Wenn man nach der biologischen Plausibilität für die Assoziation fragt, wird es sehr dünn. Die Autoren weisen darauf hin, dass kohlenhydratarme Kostformen deshalb ein Herz-Kreislaufrisiko sein könnten, weil sie weniger Gemüse und Obst und Leguminosen und Früchte und Cerealien enthalten und dies bekanntermaßen protektive Nahrungskomponenten seien. Anderseits weisen sie darauf hin, dass ihre Studie keinesfalls die Möglichkeit ausschließt, dass kohlenhydratreduzierte Kostformen doch kein Herz-Kreislaufrisiko darstellen, sofern sie reich an ungesättigten Fettsäuren und Pflanzenprotein sei. Die Autoren bleiben allerdings die Erklärung schuldig, wieso trotz der (inzwischen anerkannt) günstigen Auswirkungen von Low-Carb-Kostformen auf zahlreiche kardiometabolische Risikofaktoren, dies mit einem erhöhten Herz-Kreislaufrisiko einhergehen soll.
Die Autoren erliegen offenbar dem Trugschluss, dass Low-Carb doch im allgemeinen eine Speck&Eier-Diät sei. Dass moderne Low-Carb-Kostformen anders aussehen, wird nicht diskutiert. Es fehlt auch die Diskussion darüber, dass Nährstoffrelationen nichts über die ernährungsphysiologische Qualität der Kost aussagen. So ist das LOGI-Konzept beispielsweise genau nicht jene Speck&Eier-Diät. Vielmehr liefert diese Ernährungsform eine ausgesprochen hohe Nährstoffdichte bei niedriger Energiedichte sowie reichlich Ballaststoffe und sekundäre Pflanzenstoffe.
Das führt zu der Kernfrage: Kann eine solche Beobachtungsstudie auf Grund einer Korrelation, die auf unzuverlässig erhobenen Ernährungsdaten und noch fraglich aussagefähigen Scores beruht, eine definitive Auskunft über das Risiko von Low-Carb-Ernährungsformen geben? Ist sie aussagefähig für die Langzeitwirkung von LOGI?
Natürlich ist sie das keinesfalls. Aber das wird im Spiegel-online Beitrag und anderen unkritischen Medienberichten insinuiert. Dass LOGI aber genau die eigens formulierten Ansprüche der Autoren erfüllt und Gemüse, Salate, Beeren und Pilze und ein wenig Früchte zusammen mit reichlich ungesättigten Fettsäuren als Basis der Ernährung vorgibt, wird bedauerlicherweise nicht erwähnt!
Viele Grüße,
Nicolai Worm
P.S.: Noch ein Wort zum Editorial von Anna Floegel und Tobias Pischon vom DIfE in Potsdam-Rehbrücke: Statt die anfällige Methodik und die begrenzte Aussagekraft der Studie kritisch zu beleuchten, ergehen sie sich in der Bestätigung von Vorurteilen gegen Low-Carb: „... A low carbohydrate diet implies low consumption of wholegrain foods, fruits, and starchy vegetables and consequently reduced intake of fibre, vitamins, and minerals. A high protein diet may indicate higher intake of red and processed meat and thus higher intake of iron, cholesterol, and saturated fat...“ Offenbar haben sie die Kollegen noch nie mit modernen Low-Carb-Kostformen beschäftigt.
P.P.S.: Ulrike Gonder und ich haben einen Rapid Response beim BMJ eingereicht. Dort steht u.a. auch ein besonders lesenswerter Beitrag von Prof. Jack Winkler
Das New England Journal of Medicine unterhält CARDIOEXCHANGE, einen wissenschaftlichen Blog. Da bekommt diese verunglückte Studie von Lagiou et al. ihr Fett weg und was eher ungewöhnlich ist, man schießt sich auf das Editorial ein – was mehr als verdient ist!
Und noch ein Kommentar eines bekannten Medizin-Journalisten und eines Mediziners:
Und die Atkins-Cooperation hat sich natürlich auch zu Wort gemeldet. Auch da wird das Editorial kommentiert.
Der erste Denkfehler der Berichterstatter: Sowohl Atkins als auch LOGI als auch Paleo sind nicht protein- sondern primär fettbetonte Diätformen! Das heißt 45, 50 oder mehr Prozent der Kalorien kommen aus Fett. Der absolute Proteinkonsum ist dabei meist nicht oder nur wenig erhöht, da diese typischerweise für Übergewichtige (mit Insulinresistenz, Metabolischem Syndrom, Typ-2-Diabetes etc.) vorgesehene Kost auch typischerweise spontan eine Minderung der Energieaufnahme bewirkt.
Was ist geschehen?
Die Meldung von Spiegel-online et al. bezieht sich auf eine Langzeit-Beobachtungsstudie an 43.396 schwedischen Frauen, die im British Medical Journal veröffentlicht wurde (Anhang). Für die Studie hatte man in den Jahren 1991/92 eine Ernährungserhebung (mit Food Frequency Questionnaire) durchgeführt. Sechzehn Jahre später, hatte man – ohne weitere Ernährungserhebung – die Herz-Kreislauferkrankungsrate mit der Kohlenhydrat- und Proteinzufuhr rechnerisch in Beziehung gesetzt. Es fand sich eine Korrelation: Ein schrittweise höherer Proteinkonsum ist mit einer jeweils um 4 % erhöhten Rate an Herz-Kreislaufkrankungen assoziiert. Und umgekehrt ein schrittweise geringerer Kohlenhydratkonsum ist ebenfalls mit einer jeweils um 4 % (nicht signifikant) erhöhten Rate an Herz-Kreislauferkrankungen assoziiert. Und schließlich ist das Verhältnis der beiden Nährstoffe, ausgedrückt als „Low-Carbohydrate High-Protein Score“, bei schrittweiser Erhöhung gleichfalls schrittweise mit einer um 5 Prozent erhöhten Rate an Herz-Kreislauferkrankungen assoziiert.
Die stärkste Beziehung liegt im „Score“. Doch dieser Score hat es in sich: Er ermöglicht insbesondere in den mittleren Bereichen keine Aussage zur tatsächlichen Ernährungsweise. So ergibt ein kohlenhydratarmes, protein-moderates, fettreiches Mahl wie ein Stück gebratener Lachs mit zerlassener Butter und Gemüse exakt den gleichen „Score“ wie ein fettarmes, proteinarmes, kohlenhydratbetontes Pasta-Gericht (siehe auch beigelegter Kommentar der Kollegin „Jacqueline“ zu dem Score aus einer früheren Arbeit der gleichen Autoren). Weiterhin gibt der „Score“ keinerlei Auskunft über die Herkunft und Qualität der kombinierten Kohlenhydrate (und der Fette).
Besonders bemerkenswert ist die Basis des ganzen: Die Ernährungserhebung. Man weiß, dass die Food-Frequency Methode chronisch unzuverlässig ist. Weiterhin wurde die Erhebung nur einmal in den Jahren 1991/92 durchgeführt. Dies würde bedeuten, dass damals, zum Höhepunkt der „Low-Fat Welle“, in Schweden eine erkleckliche Menge an Low-Carb Anhängerinnen lebte und dass diese Frauen diese Ernährungsweise über 16 Jahre aufrecht erhielten! Wer sich mit Diäten beschäftigt, weiß wie unwahrscheinlich das ist! Dies wäre aber die Grundvoraussetzung um die Ergebnisse der Studie ernst zu nehmen.
In der Studie erfährt man überdies nicht, was die Frauen sonst so gegessen hatten, etwa ob die Damen mit niedrigen Kohlenhydratanteilen auch weniger Gemüse, Salate, Früchte und Nüsse gegessen hatten oder ob sie Steak mit Fritten liebten. Man erfährt auch keinesfalls, ob die Frauen mit geringerem Kohlenhydratanteil in der Ernährung so gegessen hatten, weil sie eine „Diät“ machen wollten um abzunehmen oder weil sie von Kartoffeln, Reis und Brot nicht so angetan waren und sich für Ernährung gar nicht interessierten. Es gibt also auch keine Information darüber ob die Frauen tatsächlich nach „Atkins“ oder sonst einer Diätanweisung gelebt hatten.
Das Ergebnis der Studie wird von den Autoren zwar nicht direkt aber über ihre Argumentation doch indirekt kausal interpretiert. Das sieht man auch an der Auswahl der zitierten Studien in der Diskussion. Da wird doch stark die Meinung ausgedrückt, Low-Carb/High-Protein bzw. Atkins & Co hätten das Übel verschuldet! Dem schließen sich viele Berichterstatter in den Medien an. Zwar lernt man bereits in dem Grundkurs für Epidemiologie, dass Korrelation nicht gleich Kausalität ist! Aber Epidemiologen neigen immer wieder dazu, ihre Rechkünste als kausalen Beweis zu werten. Und bei den vielen Vorurteilen gegen Low-Carb sind viele schnell dabei...
Wenn man nach der biologischen Plausibilität für die Assoziation fragt, wird es sehr dünn. Die Autoren weisen darauf hin, dass kohlenhydratarme Kostformen deshalb ein Herz-Kreislaufrisiko sein könnten, weil sie weniger Gemüse und Obst und Leguminosen und Früchte und Cerealien enthalten und dies bekanntermaßen protektive Nahrungskomponenten seien. Anderseits weisen sie darauf hin, dass ihre Studie keinesfalls die Möglichkeit ausschließt, dass kohlenhydratreduzierte Kostformen doch kein Herz-Kreislaufrisiko darstellen, sofern sie reich an ungesättigten Fettsäuren und Pflanzenprotein sei. Die Autoren bleiben allerdings die Erklärung schuldig, wieso trotz der (inzwischen anerkannt) günstigen Auswirkungen von Low-Carb-Kostformen auf zahlreiche kardiometabolische Risikofaktoren, dies mit einem erhöhten Herz-Kreislaufrisiko einhergehen soll.
Die Autoren erliegen offenbar dem Trugschluss, dass Low-Carb doch im allgemeinen eine Speck&Eier-Diät sei. Dass moderne Low-Carb-Kostformen anders aussehen, wird nicht diskutiert. Es fehlt auch die Diskussion darüber, dass Nährstoffrelationen nichts über die ernährungsphysiologische Qualität der Kost aussagen. So ist das LOGI-Konzept beispielsweise genau nicht jene Speck&Eier-Diät. Vielmehr liefert diese Ernährungsform eine ausgesprochen hohe Nährstoffdichte bei niedriger Energiedichte sowie reichlich Ballaststoffe und sekundäre Pflanzenstoffe.
Das führt zu der Kernfrage: Kann eine solche Beobachtungsstudie auf Grund einer Korrelation, die auf unzuverlässig erhobenen Ernährungsdaten und noch fraglich aussagefähigen Scores beruht, eine definitive Auskunft über das Risiko von Low-Carb-Ernährungsformen geben? Ist sie aussagefähig für die Langzeitwirkung von LOGI?
Natürlich ist sie das keinesfalls. Aber das wird im Spiegel-online Beitrag und anderen unkritischen Medienberichten insinuiert. Dass LOGI aber genau die eigens formulierten Ansprüche der Autoren erfüllt und Gemüse, Salate, Beeren und Pilze und ein wenig Früchte zusammen mit reichlich ungesättigten Fettsäuren als Basis der Ernährung vorgibt, wird bedauerlicherweise nicht erwähnt!
Viele Grüße,
Nicolai Worm
P.S.: Noch ein Wort zum Editorial von Anna Floegel und Tobias Pischon vom DIfE in Potsdam-Rehbrücke: Statt die anfällige Methodik und die begrenzte Aussagekraft der Studie kritisch zu beleuchten, ergehen sie sich in der Bestätigung von Vorurteilen gegen Low-Carb: „... A low carbohydrate diet implies low consumption of wholegrain foods, fruits, and starchy vegetables and consequently reduced intake of fibre, vitamins, and minerals. A high protein diet may indicate higher intake of red and processed meat and thus higher intake of iron, cholesterol, and saturated fat...“ Offenbar haben sie die Kollegen noch nie mit modernen Low-Carb-Kostformen beschäftigt.
P.P.S.: Ulrike Gonder und ich haben einen Rapid Response beim BMJ eingereicht. Dort steht u.a. auch ein besonders lesenswerter Beitrag von Prof. Jack Winkler
Das New England Journal of Medicine unterhält CARDIOEXCHANGE, einen wissenschaftlichen Blog. Da bekommt diese verunglückte Studie von Lagiou et al. ihr Fett weg und was eher ungewöhnlich ist, man schießt sich auf das Editorial ein – was mehr als verdient ist!
Und noch ein Kommentar eines bekannten Medizin-Journalisten und eines Mediziners:
Und die Atkins-Cooperation hat sich natürlich auch zu Wort gemeldet. Auch da wird das Editorial kommentiert.